Wie uns unsere Psyche veräppelt
Wodurch unterscheiden wir Menschen uns von den Tieren? Unter anderem durch die zumindest ausgeprägter vorhandene Fähigkeit zu denken. Ich weiß, dass diese Fähigkeit in Corona-Zeiten nicht bei allen Menschen offensichtlich ist. Aber ganz unabhängig von aktuellem Denkwirrwarr lassen wir uns auch sonst ganz schön von unserer Psyche ins Bockshorn jagen. Ich meine den Placebo- und den Nocebo-Effekt.
Vom Placebo-Effekt hat wahrscheinlich schon jede/r gehört und gelesen. Gemeint ist die Tatsache, dass auch wirkstofflose Arzneimittel eine Wirkung zeigen, so lange der Patient nicht weiß, dass sie wirkstofflos sind. Das funktioniert natürlich nur dann, wenn keine objektiv messbaren Parameter verändert werden, sondern die Psyche eine große Rolle spielt. Es gibt also keinen Placebo-Effekt bei Antibiotika oder bei Cholesterinsenkern, wohl aber bei Blutdruckmitteln, da der Blutdruck stark von der Psyche beeinflusst werden kann.
Noch interessanter finde ich den umgekehrten Placebo-Effekt, der auch als Nocebo-Effekt bezeichnet wird. Hier suggeriert uns unser Gehirn, dass ein bestimmtes Arzneimittel schädlich für uns sei, obwohl es eigentlich identisch mit dem zuvor verabreichten ist. Dies erleben wir tagtäglich in der Apotheke, wenn Patientinnen und Patienten behaupten, sie vertrügen nur das Mittel einer bestimmten Firma – alle anderen wären entweder wirkungslos (gerne bei Schlafmitteln) oder aber mit zuvor unbekannten Nebenwirkungen verknüpft.
Bei objektiven Untersuchungen der Medikamente stellt sich regelmäßig heraus, dass keine klinisch relevanten Unterschiede vorliegen. Auch wenn die beiden fraglichen Arzneimittel so verabreicht werden, dass weder der Behandler noch der Proband weiß, welches Mittel er bekommt („doppelblind“), lassen sich diese vermeintlichen Unterschiede nicht verifizieren. Das bedeutet: Die Ursache liegt in unserem Kopf. Das Problem dabei: Diese Reaktion des Körpers lässt sich nicht so einfach abschalten.
Wenn man so will, handelt es sich um eine Abwehrreaktion unserer Psyche auf unerwünschte Veränderungen, sozusagen eine „Änderungs-Allergie“. Auch wenn man sich dessen bewusst ist, ist man jedoch nicht von dem Effekt befreit – ein Nachteil unserer im Vergleich zum Tierreich autonomeren Psyche! Ein sehr gutes Beispiel war übrigens vor einiger Zeit zu lesen: Es wurden (doppelblind, wie oben beschrieben) Nebenwirkungen von Covid-Impfstoffen erfasst. Die eine Hälfte der Probanden erhielt den echten Impfstoff, die andere Hälfte nur Kochsalzlösung. (Leichtere) Nebenwirkungen wurden von 45% der Patienten der Impfstoff-Gruppe angegeben, aber auch von 33% der Patienten der Placebo-Gruppe! Dies relativiert natürlich die tatsächlich vom Impfstoff herrührenden Nebenwirkungen beträchtlich und zeigt, wie leicht uns unsere Psyche hinters Licht führen kann!
Ihr Apotheker Hannu Uwe Kratz